Zum Karriereende von Daniele De Rossi 11FREUNDE
Dieser Artikel erschien erstmals nach dem Wechsel von Daniele De Rossi zu den Boca Junios in 11FREUNDE #215. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
Daniele De Rossi braucht nicht lange, um seine Visitenkarte im argentinischen Fußball abzugeben. Beim ersten Einsatz des Weltstars für sein neues Team Boca erzielt er nach 27 Minuten das zwischenzeitliche 1:0, dann holt er sich für eine Blutgrätsche gleich mal eine Gelbe Karte ab und beschwert sich anschließend beim Schiedsrichter, dass dies doch bitteschön sein allererstes Foul im Spiel gewesen sei. Andere Länder, andere Sitten. „Olé, olé, olé, olé, tano, tano“, singen die Boca-Fans, als der Römer nach 76 Minuten ausgewechselt wird. „Tano“ steht in Buenos Aires für „Italiener“. Prompt kassiert Boca den Ausgleich und verliert das Pokalspiel gegen den Zweitligisten.
Hart geht es weiter: Im Ligaspiel gegen Banfield, seinem zweiten Einsatz für Boca, versucht der Italiener mit einem gewagten Sprung und voll ausgestrecktem linken Bein, quasi im Stil eines Kung-Fu-Kämpfers, einen Ball zu entschärfen, trifft aber mit dem Fuß seinen Mitspieler, Boca-Kapitän Paolo Goltz. Was für ein Einstand! De Rossi, wie er leibt und lebt, und manchmal eben auch knapp daneben langt. Die argentinische Presse weiß jedenfalls erst mal nicht, ob sie angesichts des gewalttätigen Einsatzes die Hände über dem Kopf zusammenschlagen oder in Begeisterungsstürme ausbrechen sollte. Die südamerikanische Ausgabe der Sportzeitung „AS“ entschließt sich in einer Mischung aus Anerkennung und Befremdung, von einer patenta tremenda zu schreiben, einem furchterregenden Tritt.
Das italienische Kürzel für „Blutgrätsche“: DDR
Den Begriff „Blutgrätsche“ existiert nicht auf Italienisch, auch nicht auf Spanisch. Es gibt allerdings ein Kürzel, das diesem Ausdruck recht nahekommt: DDR. Damit verbinden Fußballfans in Italien und Argentinien nicht etwa die Deutsche Demokratische Republik, sondern Daniele De Rossi. Bis vor Kurzem war der Italiener das letzte verbliebene Aushängeschild der AS Rom. Seit August steht er in Diensten des legendären Club Atletico Boca Juniors. Noch nie zuvor ist ein bedeutender europäischer Fußballstar von Europa nach Südamerika gegangen, und damit den umgekehrten Weg von jenem, den die talentiertesten südamerikanischen Kicker einschlagen, wenn sie nach ganz oben wollen. De Rossi, der bei der WM 2006 in Deutschland als 24-Jähriger mit Italien Weltmeister wurde, hat es nun als Erster gewagt. Erst eine bandiera in Rom, eine Identifikationsfigur, die ihrem Verein (fast) lebenslang die Treue hielt. Und jetzt ein Pionier aus Leidenschaft für den authentischen Fußball? So sehen ihn zumindest seine Fans. Dass der gebürtige Römer aus dem Hafenort Ostia bereits 36 Jahre alt ist und vor dem baldigen Karriereende steht, macht das Abenteuer für ihn nicht weniger reizvoll.
Ein verführerisches Abenteuer
Man hat den Eindruck, dass da offenbar zwei ganz gut zusammenpassen. Hier der 117-fache italienische Nationalspieler, der seine gesamte bisherige Karriere bei der AS Rom verbracht hat, dem Verein mit den chaotischsten Verhältnissen in der Serie A und nicht zuletzt mit ausgesprochen fanatischen Tifosi. Und da der argentinische Traditionsverein Boca, Inbegriff von Leidenschaft, Enthusiasmus und Wahnsinn im südamerikanischen Fußball, dem es ja ohnehin nicht an Emotionen mangelt. Einsatzfreudige Spieler wie De Rossi werden dort verehrt. Italien und Argentinien, das ist schon aufgrund der vielen italienischen Auswanderer eine besonders enge Verbindung. Boca wurde 1905 von italienischen Migranten aus Genua gegründet. Ein „verführerisches Abenteuer“ nannte die „Gazzetta dello Sport“ De Rossis Entscheidung, sich eine Spielzeit lang den Boca Juniors anzuschließen.
Was aber hat den Mann überhaupt an den Rio de la Plata verschlagen? De Rossi war nie ein Mann der großen Worte. In Buenos Aires wirkte er vom ersten Moment an ungewöhnlich gelöst, so als habe er nach 18 Jahren bei der Roma auch die pesantezza, die sprichwörtliche Schwere seiner Heimatstadt Rom, endlich abgeschüttelt. De Rossi sieht aber vor allem das Verbindende zwischen beiden Orten. „Ich mag es hier so gerne, weil es dem sehr ähnlich ist, was ich kenne“, sagt er über Buenos Aires und Boca. „Die Leute sind verrückt nach Fußball, verrückt nach der eigenen Mannschaft, es ist eine Wahnsinnsliebe.“
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